Eine steile schmale Stichstraße, die wir im ersten Moment verpasst hatten, was Toni zu einem spannenden Wendemanöver auf der unbeplankten Küstenstraße nötigte, führte hinunter zum Camp Lilli. Toni hatte am Tag zuvor per Email angefragt und sie schrieben sie hätten genug Platz.In der heutigen Zeit ist das unbedingt notwendig, denn die romantischen Zeiten des Campings sind vorbei. Seit auch der Pauschalurlauber seinen wirtschaftlichen Erfolg in Form von riesigen Wohnmobilen darstellt und teilweise sogar zwei Stellplätze benötigt, kommt man um eine Vorreservierung nicht mehr rum. Überhaupt hat das Campen viel von seiner Romantik verloren. Früher standen Zelte in den verschiedensten Formen und Farben auf dem Platz. Innen und Außen war das Hab und Gut der Camper gleichmäßig dekorativ – mal mehr und mal weniger ordentlich – verteilt. Abends kochte jeder auf seinem Campingkocher und dann aß man bei Kerzenschein was die Campingküche so hergab. Von überall wehten die verschiedensten Düfte. Der eine oder andere brachte durchaus Akzeptables zustande und bei anderen war wieder klar, da war der Dosenöffner Küchenmeister und sein Besitzer entrann mit geschmacksneutralen Dosenravioli oder Miracoli-Spaghetti dem sicheren Hungertod. Heute stehen Camper hinter Campern, versperren sich gegenseitig die Aussicht auf die Landschaft und die Besitzer sieht man nur selten außerhalb. Das Teil hat ja schließlich einen Haufen Geld gekostet, da muss man sich schon im Eiche rustikal Wohnbereich mit Ledersessel und Flachbildschirm aufhalten, um es entsprechend zu nutzen. Was sie kochen riecht man auch nicht mehr, denn das wird von der Klimaanlage im Dauerbetrieb absorbiert. Wahrscheinlich haben sie auch fest eingebaute Brotschneidemaschinen, Mikrowellen, Geschirrspül-, Waschmaschinen und Wäschetrockner. Aber zurück zu Camp Lilli, wo die großen Wohnmobile bis auf Weiteres sicher nicht hinkommen.
Froh, dass uns niemand entgegen gekommen ist, haben wir den steilen in Terrassen angelegten Platz erreicht. Auf den ersten Blick wirkte alles etwas chaotisch und die Besitzerin die auf uns zukam, meinte dass sie schon voll wären und wahrscheinlich keinen Platz mehr für uns hätten. Ob wir denn nicht angerufen hätten. Doch – hatten wir. Ja, aber in der Früh wären schon so viele gekommen und jetzt wären die wenigen für größere Autos geeigneten Plätze weg. Eventuell hat sie noch einen. Gute Frau, solche Aussagen sind einer gegen Mittag hungrigen Sabine gegenüber, für die Laune derselbigen nicht sonderlich zuträglich. Was glaubt die, warum wir vorher anrufen? Kann man da nicht dazusagen, dass man bis zu einer bestimmten Uhrzeit hier sein muss, weil nichts reserviert werden kann und die meisten Plätze nur für Zelte geeignet sind. Meine Projektmanager Seele bekam jetzt schon Krämpfe. Ich stapfte ihr also tapfer über den Platz hinterher und „welch Glück“, gleich bei den Mülltonnen, fand sich ein Terrasse auf die unser für hiesige Verhältnisse riesiges Auto noch drauf passte. Die Frau strahlte mich ob dieser positiven Entwicklung freudig an. Ich strahlte nicht zurück. Ein paar Meter entfernt sah ich einen Steinhaufen mit Dach davor und wurde aufgeklärt, dass das die Toiletten seien. Super, drei Damentoiletten und zwei Damenduschen für – ich will es nicht wissen – wieviele Camperinnen.
Jetzt weis ich auch, warum meinte Schwester damals zaghaft meinte, dass der Campingplatz für mich nicht so geeignet wäre.
Ich fühlte mich zurückversetzt in das Jahr 1975, als meine Familie zu den Hardcore Campern gehörte. Die damalige Normalfamilie fuhr im Sommerurlaub meist zu irgendeiner Tante aufs Land nach Miesbach, oder machte einen Tagesausflug an den Königssee. Die ganz Mutigen reisten schon an den Teutonengrill nach Bibione oder Jesolo. Nicht so die Familie Bielmeier. Mein Vater war als junger Kerl schon mit seinem Vater (unserem Opa) mit dem Rad und Zelt auf dem Gepäckträger nach Genua (oder war’s Neapel) gestrampelt – wohl gemerkt ohne den Anflug einer Gangschaltung. Daher lag uns das Abenteurer Gen wohl im Blut. Wir starteten jeden Sommer für drei bis vier Wochen mit dem Auto, auf dessen Dach ein Segelschiff montiert war, an dessen Anhängerkupplung ein großer Eifelland Wohnwagen mit oranger Borte hing in dessen Innerem noch zwei Kajaks, ein Schlauchboot und alles was wir sonst noch so brauchten, verstaut war. Meine Mama hatte zuvor eine Woche lang selbst Dosen eingekocht, um uns adäquat zu ernähren und jede Ritze des Wohnwagens und des Autos war mit Vorräten befüllt. Dies hatte auch seinen Grund. Da wo wir hinfuhren, gab es außer Brot und Fleisch nichts. Nicht mal Eis! Lebenswichtige Dinge wie Naschsachen und bayerisches Bier mussten daher mitgeführt werden.
Meine Eltern liebten FKK Urlaub, schon weil man da nicht immer den nassen Badeanzug aus und einen trockenen anziehen musste. Sie hatten einen wildromantischen Campingplatz an der äußersten Spitze der Insel Cres ausgemacht, den wir mit meist ein bis zwei befreundeten Familien im Konvoi, anfuhren. Im Idealfall dauerte die Fahrt inklusive Fährtransfer von Rijeka auf die Insel gut sechzehn Stunden. Dort angekommen ging es über schlecht ausgebaute Straßen die sich dem Ende zu in rot erdige Schotterpisten verwandelten. Links und rechts waren sie von den typischen Steinmauern begrenzt waren. Teilweise hingen stachelige Büsche auf den Weg und Auto wie Wohnwagen bekamen den einen oder anderen Kratzer ab. Beim Auto war’s egal, die waren bei uns eh immer alt. Aber der Wohnwagen war die Leihgabe vom Opa, der „not amused“ war, wenn er ihn zerkratzt zurück bekam. Vor Ort mussten wir uns dann denn Stellplatz mehr oder minder mit der Machete aus dem Gebüsch schlagen, aber dafür waren es immer tolle Plätze. Wir Kinder (meist vier bis sieben Mädchen) bekamen meist etwas abseits ein eigenes Zeltlager und mussten nur zum Essen erscheinen und das Geschirr abwaschen. Ansonsten wurden wir nahezu uns selbst überlassen und konnten so tun, als ob wir alleine hier wären. Wir waren meist im Wasser beim baden und schnorcheln, tauchten Muscheln und Seeigelgehäuse vom Meeresboden herauf oder bemalten Steine und uns selbst mit den Wasserfarben. Weil mich das Abwaschen nervte, hatte ich einmal die glorreiche Idee, das ganze unzerbrechliche Rauchglas Geschirr ins Meer zu werfen und es anschließen zusammen wieder rauf zu tauchen. Wir hatten einen Mordsspass, nur die Eltern fanden das nicht so lustig und nötigten uns während des restlichen Urlaubs auf herkömmliche Weise abzuspülen.
Nur die Toiletten und Duschen, allesamt kommunistisch verwahrlost und verdreckt, waren mir damals schon ein Greul. Meine Mama hatte uns deswegen immer Gummistiefel mitgenommen, die wir anziehen mussten, wenn wir auf’s Klo gingen. Braungebrannte nackige Kinder in roten und gelben Gummistiefeln, die mit einer Rolle weißem Klopapier in der Hand über den Campingplatz rannten. Ein toller Anblick. Als es in einem Jahr auch noch recht viel regnete versank alles in einem roten Schlambrei und schwor ich mir als Erwachsene nur noch ins Hotel zu gehen.
Womit wir wieder im Jahre 2017 und auf Camp Lili angekommen wären.
Meine Laune war auf dem Nullpunkt und auch das zwischen den grünen Pinien, tief unter mir schimmernde blaue Meer konnte sie nicht mehr aufheitern. Der Weg zur Toilette war so steil, dass man spätnachts betrunken oder frühmorgens schlaftrunken besser eine Seilsicherung legte.
Der Ab-/Anstiegsgrad entspricht in etwa dem Schnapper ab der Burg Falkenstein auf die hohen Asten.
Wie der Weg zum Wasser war, ahnte ich bereits. Wahrscheinlich musste man sich abseilen oder von der hohen Steilküste gleich direkt hinabspringen. Was auch die wenigen Damentoiletten erklärte, denn mehr brauchte man bei der hohen Todesfallrate nach dem Sprung wahrscheinlich gar nicht.
Wie wir rausbekamen, hatten wir zwei Möglichkeiten. Einmal über die Felsen direkt ins tiefe Wasser oder über einen schmalen steilen, zum Glück befestigten, Weg in eine kleine Bucht. Das kann ich weder im Sommer- noch im Winterurlaub ausstehen. Wenn ich tausend Kilometer fahre und dann noch jeden Tag zur Skipiste oder an den Strand latschen muss.
Als erstes probierten wir die Felsenvariante. Wahrscheinlich war ich von der nervlichen Anspannung der Anfahrt so fertig, das ich mit Müh und Not über die Felsen eierte und mich dann weigerte über die überhängende Leiter ins Wasser zu gehen. Toni und Lara schwammen eine Runde und überzeugten mich dann es über die andere Variante zu versuchen. Der Weg lies sich einigermaßen gut gehen. Die eigentlich kleine hübsche Bucht war so überfüllt, dass man auf Zehenspitzen zwischen den Handtüchern hindurch eiern musste und gar keinen Platz gefunden hätte, sein eigenes hinzulegen.
Das wunderbare hellblaue und klare Wasser war toll, aber alles erschien mir nichts im Gegensatz zu meinem kleinen Paradis (oder Paradisli, wie der Schweitzer sagt) auf Camp Vira. Am liebsten wäre ich sofort wieder zurück gefahren, aber damit brauchte ich Toni und Lara nicht kommen. Ich überlegte, mich einfach die nächsten drei Tage in meinem Campingstuhl zu verschanzen und auf die Weiterreise zu warten.
Aber Toni, der solche Sabine Momente schon kennt, ignoriert diese mit stoischer Ruhe und reagierte mit meinem Lieblingsabendessen. Huhn und Gemüse thailändischer Art in Kokosmilchsauce mit Basmatireis. Ja, wir reisen mit Reiskocher, für die die es wissen wollen. Na und, andere haben im Wohnmobil ein Motorrad oder auch einen Smart haben wir schon gesehen und wir eben unseren Reiskocher.
Wie sollte es anders sein, gutes Essen bringt bei mir auch wieder die gute Laune zurück.
Abgesehen von der, leider nur aufgrund der Hitze, heißen Nacht sieht heute alles schon weniger dramatisch aus. Ich bin auch schon über die Felsen zum Meer gegangen und sogar hineingesprungen. Dabei haben wir die Slickline übers Meer entdeckt, über die Lukas schon balanciert ist. Das Meer ist hier sehr blau und fällt steil ab. Perfekt zum springen und schnorcheln. Wir haben jetzt noch zwei Nächte auf der Insel vor uns, bevor wir auf das Festland zurückkehren und als nächstes Zadar ansteuern.
Klingt spannend 😉
Liebe Sabine , ich kringel mich bei Deinen Beschreibungen !!! Wir waren noch 2 Wochen länger im Kamp Lilli, haben bei einem Wahnsinnsunwetter unser Boot an den Meeresgott abgetreten und uns prima erholt… lg aus Wildenwart , Eva & co.