Bullerbü gibt es wirklich

Kaum auf schwedischem Boden angekommen, erhebt sich links neben der Autobahn ein gigantischer IKEA-Komplex und all unsere Vorstellungen von Schweden scheinen mit einem Schlag bestätigt.

Toni hat entgegen unserer ursprünglichen Planung die Westküste hoch zu fahren, beschlossen im Landesinneren einen kleinen See anzusteuern. Gemütlich rollern wir dahin, denn die Schweden sind gemütlich und daher fährt man auf Landstraßen höchstens 90 km/h. Wie wir es von der Kinderserie „Michel aus Lönneberga“ kennen, sehen wir überall die in klassischem Rot gestrichenen Holzhäuschen mit weißen Fensterrahmen und weiß überdachtem Eingang. Es ist genauso wie wir es uns immer vorgestellt haben. In der ersten halben Stunde habe ich schon zwanzig dieser entzückenden Häuschen vom Auto aus fotografiert und wir feixen schon darüber, wie es weiter gehen soll. Wahrscheinlich werden wir am Ende des Urlaubs nur noch von diesen „fucking little red houses“ sprechen.

Unser erstes Ziel ist knapp eine Fahrstunde von der Küste entfernt und wir erreichen den netten, aber bereits etwas vollen Campingplatz um die Mittagszeit. Nachdem ich sehnsuchtsvoll auf eine Art Kuchen schiele, die am Tresen liegt, erklärt die Rezeptionistin, dass wir uns gerne ein Stück nehmen dürfen. Dies sei ein typischer schwedischer Kuchen, der in einer großen Variante auch als Hochzeitskuchen dient. Der Teig ist sehr süß und ich vermeine einen leichten Fischgeschmack zu erkennen. Auch eine spannende Variante für einen Hochzeitskuchen denke ich. Aber gleiches würden die Schweden wahrscheinlich von mir sagen, die ich Wienerschnitzel mit viel Marmelade (Preiselbeeren) esse. Toni bestätigt mir später den Fischgeschmack und wir vermuten, das der Kuchen im Kühlschrank gleich neben dem Fisch gelegen haben muss. Was die angelbegeisterten Schweden wahrscheinlich nicht sonderlich gestört hätte.

Nach einer kurzen Brotzeit ohne Fischgeschmack wollen wir gleich die Bademöglichkeiten des kleinen Sees erkunden. Doch wir sind etwas schockiert, als wir sehen, dass man hier erst mal hundert Meter durch dunkelbraunen Matsch laufen muss, um in tieferes Wasser zu gelangen. Der See ist Moorbraun und lauwarm. Lecker! Hm, so hatten wir uns das nicht vorgestellt. Denn eigentlich wollten wir hier mindestens zweit Tage bleiben, aber das können wir uns sparen.

Am nächsten Tag ziehen wir weiter. Der kurze Großeinkauf im nächstgelegenen Supermarkt dauert etwas länger als geplant, da wir uns bei dem umfangreichen Angebot erst mal einen Überblick verschaffen müssen. Auch unsere an sich sehr umfangreichen Sprachkenntnisse helfen nicht bei der Identifikation der verschiedenen Brotaufstriche. Erst das online Wörterbuch vom Handy klärt uns auf, dass Kyckling auf Deutsch Huhn heißt. Wie hat man das nur früher hinbekommen?

Auch scheinen die Schweden nicht viel von kleinen Verpackungen zu halten, sondern ziehen ähnlich wie in Amerika Großpackungen vor. Unser kleiner Kühlschrank im Wohnmobil wäre bereits mit einem dieser Käse überfordert. Der Grund für diese großen Verpackungseinheiten erschließt sich uns auf der weiteren Fahrt, denn das Landesinnere von Schweden ist extrem spärlich besiedelt. Jetzt wird auch uns klar, dass man bei diesen Entfernungen für drei Käsescheiben nicht ins Auto steigt.

Unser nächstes Ziel ist ein kleiner Campingplatz an einem anderen See weiter im Norden, den wir aber nach kurzer Inspektion wieder verlassen. Auch hier hat die Sommerhitze den Wasserpegel des Sees um fast einen Meter gesenkt, der kurze Uferbereich ist matschig und das Wasser moorbraun. Zudem war der Campingplatz, abgesehen vom hübschen Schwedenhäuschen, in dem die Rezeption untergebracht war, ziemlich häßlich.

Wir beschließen es mit Gelassenheit zu nehmen. Zum Glück gibt es in Schweden mehr als genug Seen und wir legen noch mal eine Stunde Fahrtzeit drauf. Wieder geht es über scheinbar verlassene, sich endlos dahinziehende Landstraßen, die links und rechts von ebenso endlosen Birken- und Fichtenwäldern gesäumt sind. Platz haben die Schweden wahrlich genug. Sogar die Friedhöfe sind weitläufiger als anderswo. Da denkt sich der Schwede „Warum klein, wenn es gross auch geht“

Ab und an ein einsames rotes Schwedenhäuschen und noch seltener eine kleiner Ort. Abgesehen von der hübschen Bauart der Häuser wirken die wenigen Orte durch die wir durch kommen eher trostlos. Die einzige Abwechslung findet sich im Farbenspiel der Häuschen. Neben dem bekannte rostrot gehört anscheinend Ockergelb, Schlumpfblau, Tannengrün und edles Grau zu den Favoriten.

Der angesteuerte Campingplatz liegt in einem kleinen Wald direkt am Wasser. Die Rezeption ist nur von 18 bis 20 Uhr geöffnet und alles scheint relativ einfach. Insgesamt macht der Platz aber einen recht freundlichen Eindruck. Wir suchen uns ein sehr idyllisches Plätzchen im Schatten der Birken, mit direktem Blick auf den See. Leider ist der Wasserstand dieses Sees auch nicht besser als der der anderen. Aber wir wollen endlich mal wieder einen fahrfreien Tag und dafür passt es hier auf jeden Fall.

Am nächsten Morgen sind wir über unseren Großeinkauf vom Vortag recht froh, denn mit frischen Brötchen – wie sonst auf Campingplätzen üblich – ist es hier nicht weit her. Es hat inzwischen auch etwas abgekühlt, regnet aber zum Glück nicht. Die beiden Spazierwege enden nach wenigen hundert Metern. Also werden wir den schwappenden Wellen, den vorbeifliegenden Enten und ab und an vorüber flitzenden Wildhasen nachsehen und gemütlich vor uns hin faulenzen.

Unser schattiger Stellplatz war eigentlich auf hochsommerliche Temperaturen ausgerichtet. Jetzt üben wir uns im Campingstuhl-Hüpfen. In der Praxis sieht das so aus, dass wir samt Stuhl den sonnigen Flecken nach eilen, um so die wärmenden Sonnenstrahlen zu genießen. Nervig ist auch der andauernde Wind, der ab dem Vormittag über das Land fegt und sich erst bei Sonnenuntergang legt. Innerlich danke ich Aldi, für die wunderbare MantelDecke (Flauschdecke mit Ärmeln zum hineinschlüpfen), die ich für jeglichen Camping Urlaub nur empfehlen kann.

Ansonsten ist es sehr ruhig und wir sind überrascht, dass auch hier ziemlich viele Urlauber aus Deutschland sind. So wie es aussieht, scheinen wir im Eldorado für Fischer gelandet zu sein. Überall sieht man Fischerausrüstung, beim Waschhäuschen ist sogar ein extra Bereich zum Fische ausnehmen vorgesehen. Dort hat ein deutscher Urlauber seine Fachliteratur für andere Fischer da gelassen. Titel wie FANGFRISCH, BLINKER, FISCHMAGAZIN, …lassen das Anglerherz höher schlagen. SeineFrau hat ebenfalls ihre Lektüre hinterlassen, schien jedoch mehr am europäischen Adel interessiert. Aber auch das hat seine Parallelen. Ist es doch auch in Adelskreisen üblich, sich einen dicken Fisch zu angeln.

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