Beinahe hätte ich es vergessen, mein geliebtes E-Bike.
Aber irgendwie steht normales Radfahren hier gar nicht so auf dem Plan.
Abgesehen von den super sportlich und mega stylish ausgestatteten Radrennfahrer, die ihre Tour mit Helm Kameras mitfilmen, um sich die eigenen tollen Leistungen zu Hause wieder und wieder ansehen zu können, sieht man hier kaum Radfahrer.
Das Land ist groß, die Entfernungen weit, die Menschen bequem, die Straßen ohne Radwege und die Autofahrer ohne Rücksicht. Oder besser gesagt, sie sind keine Radler gewohnt und haben sie daher auch nicht auf dem Radar.

Mir war nach Bewegung – ja man glaubt es kaum. Unser letzter kurzer Spaziergang schon fast einen Tag her und ich wollte raus. Nicht schon wieder spazieren gehen wir jeden Tag außerdem wollte ich meinen Radius ausdehnen.
Welch ein Glück, der E-Bike Akku hatte tatsächlich noch vier Messbalken “deutschen” Strom. Das sollte für eine erste Tour ausreichen. Mein Ziel war über Nebenstraßen zur Villa Montalvo zu fahren. Gesagt, getan. Da die Amerikaner die Ausgangssperre wortwörtlich nehmen, sind die Straßen regelrecht verwaist und ich bin gemütlich durch die Nachbarschaft gekurvt.
Je näher man Montalvo kommt, umso pompöser wird es und aus schönen Häusern werden riesige Villen. Nicht immer schön, aber in jedem Fall riesig.


Teilweise bräuchte man die Panorama Funktion, um die Anwesen in ihrer ganzen Breite drauf zu bekommen. Neben dem sehr beliebten italienischen Weingut Stil, finden sich antik anmutende englische Herrenhäuser. Wenn man nicht wüßte, dass die aus Spanplatten mit “Fake” Steinen sind, könnte man glauben sie seien echt. Der eine oder andere zieht den massiven Pueblo Baustil der mexikanischen Eroberer vor und zwischendurch geht es auch mal hypermodern zur Sache.
Die Häuser neide ich den wenigstens. Wahrscheinlich kommt man sich in Wohnzimmern, in die drei Sofagarnituren passen eh verloren vor. Aber das eine oder andere Anwesen hat eine so exponierte Lage, dass der Blick auf die umliegenden Hügel, Wälder und in das Silicon Valley einfach nur traumhaft ist. Mir würde es schon reichen, ein Wohnmobil dort hinstellen und im Pool schwimmen zu dürfen.

Die Peach Hill Road war mir schon öfter auf dem Heimweg von Montalvo Veranstaltungen aufgefallen. Dank E-Bike entscheide ich mich lässig schnell mal die nächste Steigung in Angriff zu nehmen. Die Straße meandert den Hügel rauf und entlang. Auch hier auf riesigen Grundstücken ebenso riesige Anwesen. Irgendwann ging es wieder Berg ab und die Grundstück und Häuser wurden etwas kleiner. Wobei klein auch relativ ist. Die ganze Zeit war ich keiner Menschenseele begegnet und es wundert einen nicht, dass die Villen regelrecht unbewohnt erscheinen.


Völlig unerwartet taucht ein kleiner, eher verwilderter Garten auf. Am Gartenzaun reihen sich kleine Häuserminiaturen auf, die sehr an Europa erinnern. Eine ältere Frau im geringelten Niki-Hausanzug ist dabei, irgendwelche Pflanzen umzutopfen. Höflich wie ich bin, beschließe ich Hallo zu sagen und ihr ein Kompliment für ihren Garten zu machen. Sie reagiert erst etwas verhalten, was mich nicht verwundert. So offen Amerikaner einerseits sind, so ängstlich und zurückhaltend sind sie im gleichen Atemzug. “Hallo” sagt sie und fügt hinzu “Ich kenne sie gar nicht, habe ich sie schon mal gesehen”. Ich bestätige ihr dass sie mich nicht kennt, sage dass ich gerade eine Radltour machen und mich ihr Garten angesprochen hat. Ergänzend erwähne ich, dass ich mit meinem Mann vor einem Jahr aus Deutschland hier her gezogen bin. Das war das Zauberwort. Über ihr Gesicht huscht ein Lächeln, sie kommt etwas näher und fängt an Deutsch zu sprechen.
Aus dem kurzen Stop wird ein längeres “Gartenzaungespräch” und es stellt sich raus, dass die Dame 82 ist, seinerzeit in Geschichte an der Standford UNI promoviert hat und neben Deutsch auch noch Italienisch, Spanisch und Französisch spricht. Als ich ihr dann noch in Italienisch antworte, ist sie völlig hin und weg. Ich erfahre, dass sie früher unterrichtet hat, sogar auch mal Französisch im Mittleren Westen. Ihre Schülerinnen waren alle schlank, blond und blauäugig und hatten allesamt Schönheitskönigin Titel wie Miss Cornfield, Miss Heuballen, Miss Sunflower, Miss Maiskolben und eine Milchprinzessin war auch dabei.
Wie sich im weiteren Gespräch herausstellte, war meine Gesprächspartnerin auch Schriftstellerin und Malerin. Sie bedauerte, mich aufgrund von Covid-19 nicht zu einem Tee ins Haus bitten zu können. Daher sind wir verblieben, dass ich bei Gelegenheit mal wieder vorbei radle.
Alles in Allem ein schöner Nachmittag und eine interessante Begegnung.